Mit Bienenstrom gegen das Insektensterben

Fotos: © Einsele 2019

Von Volkmar Klaußer, Geschäftsführung, Stadtwerke Nürtingen GmbH

Mais soweit das Auge reicht – dieser Anblick häuft sich in Deutschland. Das gelbe Korn wird oftmals zur Energiegewinnung in Biogasanalgen angepflanzt. Das ist eine ökologische Alternative zur konventionellen Energiegewinnung. Aber die Felder sind ein Trauerspiel für Bienen und andere Insekten, die darin fast keine Nahrung finden. Die Stadtwerke Nürtingen GmbH macht sich für die Bienen stark.

Mit dem Projekt Bienenstrom möchten die Stadtwerke Nürtingen GmbH dem Insektensterben entgegenwirken. Gemeinsam mit dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb haben sie ein Stromprodukt entwickelt, das den Anbau und die Pflege von artenreichen Blühflächen finanziert.

Bienenstrom als innovatives Produkt
Das Thema Insektensterben ist derzeit sehr präsent. Könnten die Stadtwerke helfen, die Artenvielfalt zu retten? Energiemaisfelder, die schlecht für die Artenvielfalt sind, stellen einen Teil des globalen Problems Insektensterben da. Besser wären blühende Ackerflächen. Doch diese Blühflächen, die mit Wildpflanzen zur Energiegewinnung bestellt werden, bieten einen niedrigeren Ertrag für die Landwirte. Damit besteht aber kein wirtschaftlicher Anreiz für Blühflächen. Genau hier setzt die Stadtwerke Nürtingen GmbH mit dem Projekt Bienenstrom an.

Die Motivation hinter Bienenstrom: Deutschlandweite Einführung eines Stromprodukts, das sich nicht rein über den Preis definiert, sondern Kunden einen ökologischen Mehrwert bietet.

Energievertrieb finanziert blühende Landschaften
Bienenstrom ist ein Stromprodukt, das Ökostrom und die privatwirtschaftliche Finanzierung von artenreichen Blühflächen kombiniert. Der über Bienenstrom gelieferte Ökostrom wird in alpinen Wasserkraftwerken erzeugt. Mit jeder durch die Stadtwerke Nürtingen GmbH verkauften Kilowattstunde Bienenstrom fließt darüber hinaus ein Cent je kWh als Blühhilfe-Beitrag in das Projekt zum An- und Ausbau von Blühflächen. Die Käufer von Bienenstrom zahlen diesen Blühhilfe-Beitrag und werden so zu Blühhelfern. Die am Projekt beteiligten Landwirte (Blühpaten) erhalten dauerhaft einen Blühhilfe-Beitrag pro Hektar Anbaufläche und können so ihre Ertragsminderung ausgleichen. Bienenstrom wird auf der Homepage bienenstrom.de deutschlandweit vertrieben. Neben einem Tarifrechner sind dort unter anderem Neuigkeiten zum Projekt und eine Landkarte mit den eingezeichnete Blühflächen zu finden.

Image- und Kundenzuwachs durch das Projekt
Die Medien haben das Projekt Bienenstrom sehr gut aufgenommen. Mehrere Fernsehsender wie ZDF oder ARTE sowie reichweiesind durchweg positiv und fördern den Zuwachs an Kunden. Medienberichte sind ein wichtiges Standbein für den Erfolg von Bienenstrom.

Die Kunden von Bienenstrom umfassen sowohl Personen, die bereits Ökostrom beziehen, sowie Personen, die mit Bienenstrom jetzt Verantwortung übernehmen wollen. Die Kundenzahl wächst stetig: Im August 2019 waren es ca. 400 Haushaltskunden sowie Gewerbekunden, deren Strombedarf ungefähr weiteren 100 Haushaltskunden entspricht.

20 Hektar Blühfläche
Im und um das Biosphärengebiet Schwäbische Alb wurden im Rahmen des Bienenstromprojektes Ende April 2018 erstmalig blühende Wildpflanzen zur Energiegewinnung in Biogasanlagen ausgesät. Elf Landwirte beziehungsweise agrarwirtschaftliche Unternehmen haben die Pflanzenmischungen im ersten Projektjahr ausgebracht. Im Jahr 2019 sind es bereits 14 Blühpaten. Insgesamt ergibt das 20 Hektar (200.000 Quadratmeter) Blühfläche, die durch das Projekt finanziert werden. Wie auf dem Bild zu sehen, stehen Hinweisschilder am Rand der Blühflächen. Sie informieren Spaziergänger vor Ort über die blühende Vielfalt.

Mit einem Quadratmeter Blühfläche kann in einer Biogasanlage circa eine Kilowattstunde Strom erzeugt werden. Tatsächlich wird im Projekt Bienenstrom kein Strom aus den Biogasanlagen der Blühpaten verkauft, da dieser bereits im Rahmen des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) vermarktet wird. Der gelieferte Ökostrom ist mit dem Label „RenewablePlus“ zertifiziert. Das bedeutet die Energie ist zu 100 Prozent klimaneutral inklusive der Vorketten: Alle indirekten mit der Stromgestehung (Bau und Betrieb) verbundenen CO2-Emissionen werden durch Zertifikate aus Klimaschutzprojekten des Qualitätslabels ÖkoPLUS klimaneutral gestellt. Außerdem wird eine monatliche Zeitgleichheit garantiert. Das heißt, dass die Stromerzeugung zeitgleich auf Basis einer monatlichen Bilanzierung erfolgt.

Starke Partner an der Seite
Der Kooperationspartner Biosphärengebiet Schwäbische Alb unterstützt bei der Suche nach Landwirten und mit agrarwissenschaftlichem Know-how. Unterstützung erhalten die Stadtwerke für das Projekt Bienenstrom außerdem durch den Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund sowie den Fachverband Biogas. Auch bekannte Persönlichkeiten sind von Bienenstrom überzeugt und stehen für Bienenstrom ein. So unterstützt unter anderen die Moderatorin Nina Ruge Bienenstrom. Aktive Unterstützung erfährt das Projekt Bienenstrom auch durch Walter Haefeker, den Präsidenten des Europäischen Berufs- und Erwerbsimkerbundes.

Preisgekrönter Einsatz für die Artenvielfalt
Dass Bienenstrom in vorbildlicher Weise die Artenvielfalt schützt, zeigt der Preis der UN-Dekade im Januar dieses Jahres. Als erster Ökostrom-Lieferant erhielt Bienenstrom die Auszeichnung der UN-Dekade Biologische Vielfalt. Die Auszeichnung erhalten Projekte, die konkrete Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt umsetzen. Über die Auszeichnung von Projekten entscheidet eine unabhängige Fachjury. Der Preis bestätigt das Vertrauen der Initiatoren und Kunden in das Projekt.

Neue Finanzierungsmodelle für mehr Fläche
Die Stadtwerke Nürtingen GmbH erhielt seit Projektstart im April 2018 zahlreiche Anfragen von Landwirten aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich gerne am Bienenstrom-Projekt beteiligen und blühende Wildpflanzen als Ersatz von zum Beispiel Mais anbauen wollen. Das birgt ein großes Potenzial zur Kultivierung von weiteren Flächen mit blühenden Energiepflanzen anstatt Energiemais. Gemeinsam mit dem Fachverband Biogas haben die Stadtwerke diese Flächen auf mehrere hundert Hektar geschätzt. Im Rahmen der Stromvermarktung über Haushaltskunden lässt sich dieses Potenzial kurz- und mittelfristig nicht realisieren oder vielmehr finanzieren. Die beiden neuen Finanzierungsmodelle „Bienenstrom-Franchising“ und „Förderpaten-Modell“ sollen mehr Blühflächen ermöglichen.

Soziale Verantwortung übernehmen mit dem Förderpatenmodell
Das Förderpatenmodell richtet sich an Unternehmen, die als „Förderpate“ das Bienenstrom-Projekt durch direkte Finanzierung von Blühflächen ab der Größe eines Hektars über einen Zeitraum von fünf Jahren unterstützten. Der Förderpate bekommt zur Kultivierung anstehende Blühflächen im regionalen Umfeld des Unternehmens angeboten und wird auf der Homepage von Bienenstrom und einem Hinweisschild am Acker mit seinem Unternehmensnamen und Logo aufgeführt. Weiterhin erhält der Förderpate die Möglichkeit zur werblichen Nutzung Bienenstrom stellt eine ideale Maßnahme für die Corporate Social Responsibility (CSR) dar. Jedes Unternehmen kann über das Förderpatenmodell soziale Verantwortung – oder in diesem Fall vielmehr eine grüne, ökologische Verantwortung – übernehmen. Die Finanzierung der Blühflächen erfolgt über einen Zeitraum von fünf Jahren.

Bienenstrom für weitere Stadtwerke – Franchisemodell
Das Franchisemodell ermöglicht es weiteren Energieversorgungsunternehmen das Bienenstrom-Geschäftsmodell regional zu nutzen. Der Franchisenehmer verkauft Bienenstrom rechtlich selbständig. Die Stadtwerke Nürtingen GmbH gibt Mindestanforderungen für den durch den Franchisenehmer zu verkaufenden Strom vor und entwickelt diese in Zusammenarbeit mit dem Franchisenehmer weiter. Hierzu treffen der Franchisenehmer und die Stadtwerke Nürtingen GmbH eine entsprechende Kooperationsvereinbarung.

Stark für Biene und Umwelt
Die Kundenzahl soll weiterwachsen – die deutschlandweite Expansion muss weiter vorangetrieben und die Bekanntheit der Marke Bienenstrom gesteigert werden. Dafür müssen weiterhin Kunden für Bienenstrom gewonnen werden. Zufriedene Kunden sind die beste Werbung und zugleich wichtige Multiplikatoren für Bienenstrom. Das Thema Insektensterben trifft den Nerv der Zeit und nie war es so einfach mit dem Stromverbrauch die Artenvielfalt zu schützen.

E-Mobilität mit Bienenstrom
Wenn Kunden von Bienenstrom ein E-Auto besitzen, können sie über Bienenstrom eine E-Mobilitätskarte erhalten. Mit dieser Karte sind sie an mehreren Tausend Tankstellen in Europa zum Stromtanken berechtigt. Überdies ist der Ladestrom an den Elektrotankstellen der Stadtwerke Nürtingen GmbH derzeit kostenlos.

Blick in die Zukunft
Bienenstrom ist als Marke geschützt, dennoch lockt das Konzept Nachahmer an. Diese sollen über das Franchisemodell in das Projekt Bienenstrom aufgenommen werden. Es gilt stets aktiv zu bleiben: Neue Kunden gewinnen, neue Flächen unter Vertrag nehmen und eine Gemeinschaft unter den Blühhelfern aufbauen. Bienenstrom vereint Artenvielfalt und Energiewirtschaft erfolgreich. Das Projekt verlangt seinen Teil an Energie und Leidenschaft – die Insekten danken dafür.

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